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Ein Satellitenbild nach der Zerstörung des Flüchtlingslagers Hitsats in der nördlichen Region Tigray in Äthiopien zeigt umfangreiche Schäden an der humanitären Infrastruktur. Satellitenbild vom 27. Januar 2021. © Maxar Technologies. Source: Google Earth. Analysis and graphic © Human Rights Watch.

Eritreische Regierungstruppen und tigrayanische Milizen sind verantwortlich für Tötungen, Vergewaltigungen und andere schwere Übergriffe gegen eritreische Flüchtlinge in der äthiopischen Region Tigray. Alle Kriegsparteien sollten die Angriffe auf Geflüchtete einstellen, sich aus den Flüchtlingslagern zurückziehen und die Bereitstellung humanitärer Hilfen erleichtern.

Zwischen November 2020 und Januar 2021 besetzten eritreische und tigrayanische Streitkräfte - beides Kriegsparteien im Tigray-Konflikt - abwechselnd zwei Lager, in denen Tausende eritreische Geflüchtete untergebracht sind, und begingen zahlreiche Menschenrechtsverletzungen. Die eritreischen Streitkräfte nahmen auch Äthiopier*innen ins Visier, die in den um die Lager herum liegenden Gemeinden leben. Die Mitte Juli in beiden Lagern ausgebrochenen Kämpfe führten dazu, dass die Geflüchteten erneut dringend auf Schutz und Hilfe angewiesen waren.

Eritreische Geflüchtete wurden sowohl von den Kräften, vor denen sie in ihrer Heimat geflohen sind, als auch von tigrayanischen Kämpfern angegriffen“, so Laetitia Bader, Direktorin für das Horn von Afrika bei Human Rights Watch. „Die schrecklichen Morde, Vergewaltigungen und Plünderungen, die eritreische Geflüchtete in Tigray erleiden, sind ganz klar Kriegsverbrechen.“

Seit Januar hat Human Rights Watch 28 eritreische Geflüchtete befragt: 23 ehemalige Bewohner*innen des Lagers Hitsats und fünf ehemalige Bewohner*innen des Lagers Shimelba sowie zwei Bewohner*innen der Stadt Hitsats, die Zeug*innen der Übergriffe durch eritreische Streitkräfte und lokale tigrayanische Milizen waren. Human Rights Watch befragte auch Mitarbeiter*innen von Hilfsorganisationen und analysierte Satellitenbilder.

Human Rights Watch schickte Briefe mit einer Zusammenfassung der Ergebnisse und der Bitte um weitere Informationen an die äthiopische Agentur für Flüchtlings- und Rückkehrerangelegenheiten (ARRA), das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen (UNHCR), die ständige Vertretung Eritreas bei den Vereinten Nationen und andere internationale Organisationen in Genf. Die Antworten der ARRA und des UNHCR sind im Folgenden aufgeführt. Eritrea hat bislang nicht geantwortet.

Am 19. November drangen eritreische Streitkräfte in die Stadt Hitsats vor und töteten wahllos mehrere Einwohner*innen. Sie besetzten und plünderten die Stadt und übernahmen das Flüchtlingslager. Einige Geflüchtete beteiligten sich an den Plünderungen und trugen so zu den Spannungen in der Gemeinschaft bei. 

Am 23. November drang die tigrayanische Miliz in das Lager Hitsats ein und griff Flüchtlinge in der Nähe der orthodoxen Kirche des Lagers an. In und um das Lager kam es über mehrere Stunden zu Zusammenstößen zwischen den Milizen und eritreischen Soldaten. Neun Geflüchtete wurden getötet und 17 schwer verletzt.

Eine geflüchtete Frau berichtete, dass Kämpfer der tigrayanischen Miliz ihren Mann töteten, als die Familie in der Kirche Schutz suchen wollte: „Mein Mann hatte unser 4-jähriges Kind auf dem Rücken und unser 6-jähriges Kind auf dem Arm. Als er zurückkam, um mir in die Kirche zu helfen, erschossen sie ihn.“

Berichten zufolge wurden auch zwei Dutzend Einwohner*innen der Stadt Hitsats während und nach den Zusammenstößen an diesem Tag getötet. Die tigrayanischen Milizen zogen sich nach den Kämpfen aus Hitsats zurück.

Die eritreischen Streitkräfte nahmen später etwa zwei Dutzend Geflüchtete in dem Lager fest und brachten sie in Militärfahrzeugen weg. Ihr aktueller Aufenthaltsort ist unbekannt. Die eritreischen Streitkräfte brachten auch die 17 verletzten Geflüchteten aus dem Lager weg. Mindestens einen davon - und wahrscheinlich weitere - brachten sie zurück nach Eritrea, angeblich zur medizinischen Versorgung.

Die eritreischen Streitkräfte zogen sich Anfang Dezember aus dem Lager zurück. Am Abend des 5. Dezember kehrten die tigrayanischen Streitkräfte zurück, schossen auf das Lager und trieben Hunderte von Geflüchteten erneut in die Flucht. In den folgenden Tagen griffen tigrayanische Milizen einige der geflohenen Menschen an, nahmen sie willkürlich fest und verübten sexuelle Übergriffe, insbesondere in der Gegend von Zelazle und Ziban Gedena, nördlich von Hitsats. Anschließend ließen sie die Geflüchteten den Weg zurück nach Hitsats zu Fuß gehen.

„Ich bin ein zweifaches Opfer“, sagte eine 27-jährige Frau, die zusammen mit ihrer 17-jährigen Schwester auf der Flucht aus Hitsats von tigrayanischen Milizionären vergewaltigt wurde. „Sowohl in Eritrea als auch jetzt hier [in Äthiopien] bin ich nicht geschützt.“

In Hitsats haben tigrayanische Milizen und Spezialeinheiten sowie Mitglieder einer nicht identifizierten bewaffneten eritreischen Gruppe willkürlich Hunderte von Geflüchteten festgenommen, offenbar um diejenigen zu identifizieren, die mit den eritreischen Streitkräften kollaborieren oder für Plünderungen in der Stadt verantwortlich sind. 

Am 4. Januar zogen sich die tigrayanischen Streitkräfte nach schweren Zusammenstößen in der Nähe des Lagers aus Hitsats zurück. Die eritreischen Streitkräfte kehrten zurück und befahlen allen verbliebenen Geflüchteten, die Stadt über die Hauptstraße in Richtung Eritrea zu verlassen. Zwischen dem 5. und 8. Januar zerstörten und verbrannten die eritreischen Streitkräfte Unterkünfte und humanitäre Einrichtungen im Lager und ließen große Teile des Lagers in Trümmern zurück. Die meisten Geflüchteten mussten dann einen beschwerlichen tagelangen Marsch in die äthiopische Stadt Sheraro und die umkämpfte Grenzstadt Badme antreten, die zu der Zeit unter eritreischer Kontrolle stand. Nach Angaben der Geflüchteten hatten viele von ihnen keine andere Wahl, als nach Eritrea zurückzukehren, obwohl sie Gefahr liefen, inhaftiert zu werden und auf unbestimmte Zeit zwangsverpflichtet zu werden. Zeug*innen zufolge stiegen im Januar Hunderte von ihnen in Busse nach Eritrea.

Anderen Geflüchteten gelang die Flucht zurück nach Äthiopien, einige in städtische Gebiete oder in die beiden noch funktionierenden eritreischen Flüchtlingslager im südlichen Tigray, Mai Aini und Aid Harush. Nach Angaben des UNHCR sind 7.643 der 20.000 Geflüchteten, die sich im Oktober 2020 in den Lagern Hitsats und Shimelba aufgehalten haben, bis Ende August 2021 nicht aufgefunden worden. Viele der erfassten Geflüchteten sind in die äthiopische Hauptstadt Addis Abeba geflohen, aber weder die äthiopische Regierung noch internationale Partner haben bisher Hilfe geleistet. Geflüchtete, die keine Hilfe erhalten, sind laut Human Rights Watch anfälliger für weitere Menschenrechtsverletzungen, u.a. Ausbeutung.

„Jahrelang war Tigray ein Zufluchtsort für Menschen aus Eritrea, die vor Menschenrechtsverletzungen fliehen mussten, aber viele fühlen sich jetzt nicht mehr sicher“, sagte Bader. „Nach Monaten der Angst, der Menschenrechtsverletzungen und der Vernachlässigung sollte Äthiopien mit Unterstützung seiner internationalen Partner sicherstellen, dass alle Geflüchteten aus Eritrea sofort Schutz und Hilfe erhalten.“

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