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(Beirut) - Syrische Geflüchtete, die zwischen 2017 und 2021 aus dem Libanon und Jordanien nach Syrien zurückgekehrt sind, sehen sich schweren Menschenrechtsverletzungen und Verfolgung durch die syrische Regierung und ihr nahestehende Milizen ausgesetzt, so Human Rights Watch in einem heute veröffentlichten Bericht. Die Rückkehrenden kämpfen zudem um ihr Überleben und ihre Grundbedürfnisse in dem vom Konflikt gezeichneten Land.

Der 70-seitige Bericht „Our Lives Are Like Death: Syrian Refugee Returns from Lebanon and Jordan“ belegt, dass Syrien kein sicheres Rückkehrland ist. Für den Bericht befragte Human Rights Watch 65 Rückkehrende bzw. deren Familienangehörige. 21 von ihnen wurden verhaftet oder willkürlich festgehalten, 13 wurden gefoltert und 3 entführt, 5 starben durch außergerichtliche Tötungen, 17 wurden Opfer von Verschwindenlassen und eine Person gab an, Opfer sexueller Gewalt geworden zu sein.

„Die erschütternden Berichte über Folter, Verschwindenlassen und Missbrauch, die Geflüchtete, die nach Syrien zurückgekehrt sind, erlitten haben, sollten deutlich machen, dass Syrien für eine Rückkehr nicht sicher ist“, erklärte Nadia Hardman, HRW-Expertin für Geflüchteten- und Migrantenrechte. „Viele können außerdem nicht dauerhaft zurückkehren, da ihnen ihr Eigentum genommen wurde und sie über keine finanziellen Mittel verfügen.“

Zusätzlich zu den 65 Rückkehrenden bzw. deren Familienangehörigen befragte Human Rights Watch drei Anwält*innen aus Syrien, Jordanien und dem Libanon und vier Syrien-Expert*innen sowie Nichtregierungsorganisationen, UN- und humanitäre Organisationen in Jordanien sowie im Libanon. Human Rights Watch berücksichtigte darüber hinaus Berichte über die Rückkehr syrischer Geflüchteter und prüfte einschlägige nationale und internationale Gesetze, Dekrete, Verordnungen und Absichtserklärungen.

Obgleich es in Teilen Syriens seit 2018 keine Kampfhandlungen mehr gab, deckt sich die Feststellung von Human Rights Watch, dass Syrien kein sicheres Rückkehrland ist, mit den Erkenntnissen anderer Menschenrechtsorganisationen, Journalist*innen und der UN-Untersuchungskommission zu Syrien. Alle haben willkürliche Verhaftungen, Inhaftierungen, Folter und Misshandlungen, Verschwindenlassen und außergerichtliche Hinrichtungen dokumentiert.

Das UN-Flüchtlingshilfswerk (UNHCR), die UN-Organisation, die Geflüchteten internationalen Schutz und humanitäre Hilfe bietet, hält Syrien für unsicher und wird keine Massenrückkehr ermöglichen, solange die wichtigsten Schutzbedingungen nicht erfüllt sind. Allerdings will es die freiwillige Rückkehr einzelner Personen erleichtern. Alle Länder sollten syrische Geflüchtete davor bewahren, gegen ihren Willen in ihr Land zurückgeschickt zu werden, wo sie Gewalt und Folter ausgesetzt wären, und einen Abschiebestopp nach Syrien einführen, so Human Rights Watch.

„Niemand wird in Syrien sicher sein, solange die Sicherheitsbehörden nicht aufhören, die Menschen zu terrorisieren“, sagte ein 38-jähriger Geflüchteter im Libanon, der in seine Heimatstadt Qunaitra in Syrien zurückkehrte.

Trotz dieser Erkenntnisse fördern Länder innerhalb und außerhalb der Region weiterhin eine Rückkehr. In der Europäischen Union hat Dänemark einen gefährlichen Präzedenzfall geschaffen, indem es Menschen aus Damaskus und dem Umland von Damaskus den „vorübergehenden Schutzstatus“ entzog.

Die libanesischen Behörden verfolgen eine aggressive Rückführungsagenda mit Dekreten und Verordnungen, die darauf abzielen, syrischen Geflüchteten das Leben schwer zu machen und sie zur Ausreise zu zwingen. So haben sie syrische Geflüchtete gezwungen, ihre Betonunterkünfte abzubauen, Ausgangssperren verhängt, Geflüchtete aus einigen Gemeinden vertrieben, die Verlängerung von Aufenthaltsgenehmigungen behindert und Tausende von syrischen Geflüchteten ohne jegliche Formalitäten abgeschoben. Der wirtschaftliche Zusammenbruch des Libanon hat dazu geführt, dass 90 Prozent der Syrer*innen in extremer Armut leben, auf Kredite angewiesen sind und sich immer mehr verschulden, um zu überleben.

Jordanien hat sich zwar nicht öffentlich für groß angelegte organisierte Rückführungen eingesetzt und syrischen Geflüchteten einige legale Arbeitsmöglichkeiten eingeräumt. Allerdings bleiben Syrer*innen als Nicht-Staatsangehörige wichtige Beschäftigungskategorien verwehrt und nur 2 Prozent der geflüchteten Familien können ihren Grundbedarf an Lebensmitteln decken.

Obgleich Jordanien kein formelles Wiedereinreiseverbot für syrische Geflüchtete verhängt hat, berichteten fast alle von Human Rights Watch befragten Geflüchtete, dass jordanische Grenzbeamt*innen ihnen erklärten, sie könnten drei bis fünf Jahre lang nicht wieder nach Jordanien einreisen. Damit wird Rückkehrenden das Recht verweigert, Asyl zu beantragen, wenn sie nach ihrer Rückkehr nach Syrien erneut Verfolgung ausgesetzt sind.

Trotz der zunehmenden Gefährdung und wirtschaftlichen Schwierigkeiten im Libanon und in Jordanien ist die Zahl der Geflüchteten, die spontan nach Syrien zurückkehren, nicht wesentlich gestiegen. Diejenigen, die zurückkehren, tun dies oft unter extremem Druck und verfügen nur über begrenzte Informationen zur Situation im Land.

Zu Beginn des Syrienkonflikts nahmen der Libanon und Jordanien zunächst Geflüchtete auf. Als die Zahl der Geflüchteten im Libanon weiter anstieg, erfuhren diese Zwang, Missbrauch und Diskriminierung, wie willkürliche Ausgangssperren, Zwangsräumungen, Verhaftungen und andere Einschränkungen des legalen Aufenthalts sowie des Zugangs zu Beschäftigung und Bildung.

Da es keine verlässlichen Informationsnetzwerke gibt, auf deren Grundlage syrische Geflüchtete eine fundierte Entscheidung über ihre Rückkehr treffen könnten, und weil internationale humanitäre Organisationen die Rückkehr nicht angemessen beobachten können, sollten die Länder, die syrische Geflüchtete aufnehmen, an der Position festhalten, dass Syrien für eine Rückkehr unsicher ist, und Abschiebungen sofort einstellen, so Human Rights Watch.

Die Regierungen der internationalen Geberländer sollten ihren Einfluss geltend machen und sich gegen Praktiken wie formlose Abschiebungen und erzwungene Rückführungen einsetzen, da sie gegen den Grundsatz der Nichtzurückweisung verstoßen, also die Verpflichtung, Menschen nicht an einen Ort zurückzuschicken, an dem ihr Leben und ihre Freiheit bedroht sind oder ihnen andere ernste Schäden drohen. Sie sollten der syrischen Regierung, ihren Verbündeten und den Aufnahmeländern auch klar machen, dass sie, solange diese Vergehen ungestraft bleiben, keine humanitären Programme finanzieren werden, die präventive Maßnahmen als Vorbereitung auf die Rückkehr vorsehen.

Die internationalen Geberländer sollten diese Position unterstützen und humanitäre Hilfsprogramme, insbesondere im Libanon und in Jordanien sowie in anderen Nachbarländern, vollständig finanzieren.

Libanon und Jordanien sollten alle Beschränkungen für die Wiedereinreise syrischer Geflüchteter in ihre Länder aufheben, wenn diese nicht in der Lage waren, sich wieder in Syrien niederzulassen oder denen der Schutz der syrischen Regierung verwehrt blieb. Der Libanon sollte den Beschluss des Obersten Verteidigungsrates vom Mai 2019 über die Abschiebung aller syrischen Geflüchteten, die nach April 2019 irregulär wieder eingereist sind, aufheben. Jordanien sollte keine weiteren willkürlichen oder faktischen Wiedereinreiseverbote gegen syrische Geflüchtete verhängen und dafür sorgen, dass sie nach Jordanien zurückkehren können, und einen entsprechenden Prozess etablieren.

Dänemark sollte seinen Beschluss zur Aufhebung des vorübergehenden Schutzstatus für syrische Geflüchtete in Damaskus und im Umland von Damaskus aufheben, und die EU-Mitgliedstaaten sollten keine ähnlichen Gesetze einführen.

Auch wenn die Kampfhandlungen in den letzten Jahren abgenommen haben, wendet die syrische Regierung weiterhin die gleichen missbräuchlichen Handlungen gegen ihre Bevölkerung an, die sie ursprünglich zur Flucht veranlasst haben, darunter willkürliche Verhaftungen, Misshandlung und Folter.

„Kein Land sollte Flüchtlinge zur Rückkehr nach Syrien zwingen, solange die syrische Regierung umfassende Menschenrechtsverletzungen begeht“, forderte Hardman. „Ein Jahrzehnt [nach Ausbruch des Bürgerkriegs] sind zurückkehrende Geflüchtete noch immer dem Risiko einer Verfolgung durch jene Regierung ausgesetzt, vor der sie einst geflohen sind.“

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