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EU: Enttäuschender Entwurf zur Sorgfaltspflicht von Unternehmen

Gesetzgeber sollten Schlupflöcher beseitigen und wegweisendes Gesetz beschlieβen

"Ich habe keine Handschuhe. Wenn wir die Fruchtbündel aufheben, tun wir uns weh", sagt eine Erntehilfskraft, die seit über zehn Jahren für das kongolesische Palmölunternehmen PHC arbeitet. "Manchmal fallen die Fruchtbündel auf Menschen oder Tierkot. Boteka, Demokratische Republik Kongo, 17. November 2018. © 2018 Luciana Téllez/Human Rights Watch.

(Brüssel) – Beim neuen Vorschlag der Europäischen Kommission zur Sorgfaltspflicht von Unternehmen (Lieferkettengesetz) muss erheblich nachgebessert werden, um Menschenrechtsverletzungen und Umweltschäden, auch in den globalen Lieferketten von Unternehmen, zu verhindern und anzugehen, so Human Rights Watch heute. Der Gesetzesentwurf wird derzeit vom Europäischen Parlament und dem Rat geprüft, da es jetzt an diesen beiden europäischen Gesetzgebungsinstanzen ist, den finalen Text zu überarbeiten und gegebenenfalls zu verabschieden.

Die Regierungen der EU-Länder sollten sicherstellen, dass die vorgeschlagene Verordnung kleine und mittlere Unternehmen stärker abdeckt und die Sorgfaltspflichten in Übereinstimmung mit internationalen Normen zu Unternehmen und Menschenrechten auf alle Unternehmen in ihren Lieferketten ausweitet. Verantwortungsvolle Einkaufspraktiken und ein verantwortungsvoller Ausstieg aus Geschäftsbeziehungen, auf die im Vorschlag noch nicht ausdrücklich Bezug genommen wird, sollten im Mittelpunkt der Sorgfaltspflicht stehen.

Wichtige internationale Standards, die derzeit noch fehlen, sollten aufgenommen werden, beispielsweise das Übereinkommen 190 der Internationalen Arbeitsorganisation gegen Gewalt und Belästigung im Arbeitsbereich. Die Regierungen sollten auch die Bestimmungen zur zivilrechtlichen Haftung über die erste Ebene der Zulieferer hinaus ausweiten, die Pflicht zur Transparenz und Rückverfolgbarkeit von Lieferketten einführen und freiwillige Sorgfaltspflichtprogramme von Unternehmen weiter einschränken.

„Ein breiter Geltungsbereich, strenge Sorgfaltspflichten und zivilrechtliche Haftung sind entscheidend, um zu zeigen, dass europäische Regulierungsbehörden und Gerichte nicht länger stillschweigend zusehen werden, wie Unternehmen von Verstößen gegen die Rechte von Arbeitnehmern und Gemeinschaften profitieren“, sagte Aruna Kashyap, stellvertretende Direktorin für Wirtschaft und Menschenrechte bei Human Rights Watch. „Die europäischen Entscheidungsträger sollten die bevorstehenden Verhandlungen nutzen, um die vielen Schlupflöcher zu schließen und ein neues Kapitel für Gerechtigkeit und Wiedergutmachung von Schäden zu eröffnen, die Unternehmen verursacht haben.“

Mangels tragfähiger Gesetze zur menschenrechtlichen und ökologischen Sorgfaltspflicht waren europäische Unternehmen bisher in der Lage, Geschäfte zu tätigen und dabei Menschenrechts- und Umweltrisiken in ihren Lieferketten zu ignorieren oder schlimmstenfalls sogar zu verschlimmern – und zwar ohne rechtliche Konsequenzen.

Ein Beispiel dafür, welchen Schaden das Fehlen menschenrechtlicher Sorgfaltspflichten anrichten kann, ist die Bekleidungsindustrie. Hier zahlen globale Marken und Einzelhändler niedrige Preise und üben durch geringe Vorlaufzeiten und andere unfaire Einkaufspraktiken Druck auf Lieferanten aus. Dies begünstigt missbräuchliche Arbeitsbedingungen, wie Löhne unterhalb des Existenzminimums und ein überhöhtes Maß an Überstunden.

In der Bergbauindustrie hat das Versäumnis der Unternehmen, entsprechende Prüfungen durchzuführen und auf die Menschenrechtsverletzungen und -risiken auf der untersten Ebene ihrer Lieferketten – also den Minen selbst – zu reagieren, dazu geführt, dass Gold und andere von Kindern abgebaute Mineralien in die Lieferketten gelangen sowie dass konfliktbedingte Gewalt und Umweltschäden unkontrolliert fortbestehen.

Obwohl Beweise für Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Zwangsarbeit gegen Uigur*innen und andere turksprachige Muslim*innen in Xinjiang vorliegen und die chinesischen Behörden extrem invasive Überwachungstechnologien einsetzen, ignorieren viele Unternehmen diese Menschenrechtsverletzungen und beziehen weiterhin Waren aus Xinjiang.

Die EU-Kommission veröffentlichte den Gesetzesentwurf ein Jahr nach Abschluss der öffentlichen Konsultationen mit Interessengruppen und nachdem das Europäische Parlament im März 2021 einen soliden und ehrgeizigeren Gesetzesvorschlag für ein europäisches Lieferkettengesetz beschlossen hatte. Der Entwurf wird begleitet von immensem Druck aus der Industrie, die den Geltungsbereich und die Reichweite der Vorschriften abschwächen und verwässern will.

Der Vorschlag verpflichtet in der EU ansässige Unternehmen, in ihren eigenen Betrieben und Lieferketten Sorgfaltspflichten einzuhalten, die sich auf zahlreiche internationale Menschenrechts-, Arbeitsrechts- und Umweltstandards stützen. Allerdings würden diese Verpflichtungen derzeit über alle Branchen hinweg betrachtet nur für sehr große Unternehmen mit Sitz in der EU gelten, konkret für Unternehmen mit mehr als 500 Beschäftigten und einem Nettoumsatz von mehr als 150 Mio. EUR, sowie in eingeschränkter Form für Unternehmen mit mehr als 250 Beschäftigten und einem Umsatz von 40 Mio. EUR. Kleine, mittlere und Kleinstunternehmen, die etwa 99 Prozent aller in der EU ansässigen Unternehmen ausmachen, sind weitgehend ausgeschlossen. Für Nicht-EU-Unternehmen, die Produkte und Dienstleistungen innerhalb der EU verkaufen und die Umsatzschwellen überschreiten, würden die Regeln ebenfalls gelten.

Der Vorschlag schafft auch einen Rahmen für Durchsetzung und Sanktionen. Allerdings ist die zivilrechtliche Haftung derzeit auf direkte Zulieferer beschränkt. Daher sind Unternehmen von der Haftung für Rechtsverstöße befreit, die weiter unten in der Lieferkette begangen werden, während Opfern der Zugang zu rechtlichen Mitteln verwehrt bleibt.

Die Sorgfaltspflichten der Unternehmen in ihren Wertschöpfungsketten beschränken sich außerdem auf „etablierte Geschäftsbeziehungen“, die „voraussichtlich von Dauer sind“ und „keinen unbedeutenden oder untergeordneten Teil der Wertschöpfungskette darstellen“.

In einem separaten Artikel des Gesetzesvorschlags werden Unternehmen verpflichtet, zu bewerten, „inwieweit der Klimawandel ein Risiko für die Geschäftstätigkeit des Unternehmens darstellt oder durch diese befördert wird“, und einen Plan mit Emissionsreduktionszielen zu verabschieden, der mit dem Ziel der Begrenzung der globalen Erwärmung auf 1,5 Grad Celsius im Einklang steht, wie es im Pariser Abkommen zum Klimawandel festgelegt wurde. Allerdings wird der Klimawandel nicht mit den zentralen Anforderungen an die menschenrechtliche und ökologische Sorgfaltspflicht verknüpft, und klimaschädliches Handeln von Unternehmen ist von der Haftung ausgenommen.

Human Rights Watch hat in einem Brief an EU-Kommissar Didier Reynders und die Mitglieder des Europäischen Parlaments vom Juni 2020 detaillierte Empfehlungen für das neue EU-Lieferkettengesetz vorgelegt und in einem Q&A-Dokument weitere wichtige Aspekte des Gesetzes angesprochen. Human Rights Watch beteiligte sich auch an den öffentlichen Konsultationen, die die Kommission zur Ausarbeitung des Entwurfs durchführte.

„Das Europäische Parlament und der Rat sollten in den kommenden Wochen die Gelegenheit ergreifen, dies in ein bahnbrechendes Gesetz zu verwandeln“, sagte Juliane Kippenberg, stellvertretende Direktorin der Kinderrechtsabteilung von Human Rights Watch. „Die EU-Gesetzgebung sollte die Messlatte hochlegen und zeigen, wie Unternehmen auf eine neue Weise Geschäfte machen – eine, die Menschenrechtsverletzungen und Umweltschäden endlich verhindert und bekämpft, anstatt davon zu profitieren.“

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