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„Das ist der Matheraum, aber jetzt ist es kein Unterrichtsraum mehr, jetzt ist es ein Militärbunker", ruft das junge Mädchen aus Südasien, als sie in ein Klassenzimmer blickt. In ihrer Stimme liegt ein Anflug von Verzweiflung, gepaart mit einem Hauch von Abscheu. Schließlich klingt sie enttäuscht, als sie sagt: „Ich war immer sehr stolz auf meine Armee, die Armee, die uns beschützt. Aber wenn ich sehe, was sie mit meiner Schule gemacht haben, dann schäme ich mich für meine Armee."

Eben jenes Mädchen wird jetzt in Oslo mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet.

Der Augenblick in dem Klassenzimmer ist in der Dokumentation über Malala Yousafzais Leben zu sehen, die 2009 entstand, noch bevor die Taliban ihr nach dem Leben trachteten. In der Szene erfährt Malala, dass die pakistanische Armee eine der Schulen ihres Vaters übernommen hatte, um diese für militärische Zwecke zu nutzen, während sich ihre Familie wegen Kämpfen in ihrer Heimat im Exil aufgehalten hatte.

Bei meinen weltweiten Recherchen für Human Rights Watch habe ich häufig erlebt, dass Schulen von Kriegsparteien zu Militärstützpunkten gemacht werden. Sportplätze werden von Stacheldraht umzäunt, und es werden Feldbetten für die Soldaten in den Klassenzimmern aufgestellt.
Beobachtungsposten auf den Dächern der Schulgebäude dienen der Überwachung, und es werden Scharfschützen an den Fenstern der Klassenzimmer positioniert. In den Fluren werden Gewehre gestapelt, Granaten unter den Schreibpulten versteckt und gepanzerte Fahrzeuge in den Turnhallen abgestellt.

Das bringt Schüler und Lehrer in Gefahr, da ihre Schulen so zu Zielen gegnerischer Angriffe werden. Schüler und Lehrer wurden bereits bei derartigen Angriffen verletzt oder getötet. Auch werden Schüler dem Risiko ausgesetzt, Opfer von sexueller Gewalt, Zwangsarbeit oder Zwangsrekrutierung durch die Soldaten zu werden.

Die Schüler müssen entweder zu Hause bleiben und ihre Ausbildung unterbrechen oder inmitten von bewaffneten Kämpfern lernen, wobei sie jederzeit in die Schusslinie geraten können.

Während der letzten zehn Jahre haben bewaffnete Truppen, darunter sogar Friedenstruppen, Schulen in mindestens 25 Ländern, in denen es zu bewaffneten Konflikten kam, militärisch genutzt. Zu diesen Staaten gehören Länder in Afrika, in Nord-, Mittel und Südamerika, in Asien, Europa und im Nahen Osten. Es handelt sich also um ein globales Phänomen, für das eine globale Lösung gefunden werden muss.

Zwar gibt es internationale Gesetze, die Parteien in bewaffneten Konflikten dazu anhalten, die Zivilbevölkerung so weit wie möglich vor den Kriegsgefahren zu schützen. Es mangelt jedoch an eindeutigen Standards und Normen, damit Schulen nicht für militärische Zwecke missbraucht werden. Dies führt dazu, dass die jeweiligen Kampftruppen häufig Bildungseinrichtungen für verschiedene Zwecke benutzen.

All das soll sich bald ändern.

Bei einer Konferenz der Vereinten Nationen nächste Woche in Genf werden die Botschafter Norwegens und Argentiniens einen Vorschlag vorstellen, wie Schulen besser vor militärischer Nutzung in bewaffneten Konflikten geschützt werden können. Dieser Vorschlag sieht vor, dass sowohl Regierungstruppen als auch nicht-staatliche bewaffnete Gruppen sechs klare Richtlinien in ihre Militärpraxis und in die entsprechende Ausbildung aufnehmen.

Diese Richtlinien wurden gemeinsam mit Experten aus allen Teilen der Welt erarbeitet, darunter mit Vertretern von Kampftruppen, Verteidigungsministerien bis hin zu Menschenrechtsorganisationen und UN-Einrichtungen.

Diese Richtlinien zum Schutz von Schulen vor militärischer Nutzung vereinen bereits bestehende Verpflichtungen, die sich aus dem Kriegsrecht und internationalen Menschenrechtsbestimmungen ableiten, und verbinden diese mit bereits von manchen Kampftruppen praktizierten, positiven Beispielen.

Somit erhalten die Richtlinien weder einen naiven noch einen idealistischen Charakter, sondern sind praktisch orientiert und realistisch. Sie berücksichtigen die Tatsache, dass die jeweiligen Parteien in einem bewaffneten Konflikt zwangsläufig mit schwierigen Situationen konfrontiert werden, die pragmatischer Lösungen bedürfen.

Deutschland nahm beim Schutz von Kindern und Schulen in Kriegszeiten immer eine führende Rolle ein. Und es war unter dem Vorsitz Deutschlands im UN-Sicherheitsrat, dass die negativen Folgen militärischer Nutzung von Schulen auf die Sicherheit von Kindern vom weltweit höchsten Organ für Frieden und Sicherheit aufgegriffen worden sind.

Bedauerlicherweise hat Deutschland keine konkreten Schritte unternommen, um einen derartigen Schutz für seine eigenen Schulen zu gewährleisten. Gleichzeitig aber forderte Deutschland im Sicherheitsrat lautstark die Etablierung eines solchen Schutzes in anderen Ländern. Bis heute haben 29 Länder weltweit öffentlich ihre Unterstützung für die Entwicklung dieser Richtlinien bekundet. Deutschland gehört jedoch nicht zu diesen Ländern. Dies sollte unverzüglich nachgeholt werden.

Der Einsatz für den Schutz von Schülern und Schulen ist ein Anliegen, bei dem Deutschland sich innerhalb Europas nicht isolieren sollte. Deutschland soll die Konferenz in Genf dazu nutzen, seine Bereitschaft zu verkünden, die Richtlinien im Rahmen einer von Norwegen organisierten internationalen Konferenz 2015 offiziell anzuerkennen.

Ferner soll Deutschland in den Monaten bis dahin die nötigen und angemessenen Mechanismen vorbereiten, um die Richtlinien in die deutsche Militärpolitik aufzunehmen. Auch wenn Deutschland erklären würde, mit Norwegen gemeinsam daran zu arbeiten, die NATO-Politik mit den Richtlinien in Einklang zu bringen, wäre dies ein begrüßenswerter Schritt.

Dass Malala Yousafzai die militärische Nutzung der Schule ihres Vaters verurteilt hat, ist ein klares Signal an alle Armeen: Sogar Kinder erkennen, dass diese verbreiteten und heimtückischen Praktiken falsch sind. Deutschland kann dazu beitragen, das Recht von Kindern überall auf der Welt auf Bildung zu gewährleisten, indem es den in den Richtlinien vorgesehenen Schutz umsetzt und andere Länder dazu anhält, dies ebenfalls zu tun.
Ein sicherer Zugang zu Bildung, auch in Kriegszeiten, ist wesentlich für die Sicherheit der Kinder, für ein Gefühl von Normalität und für ihre Entwicklung. Zudem wird durch den Zugang zu Bildung sichergestellt, dass Länder über die nötigen Mittel verfügen, um nach dem Krieg einen nachhaltigen Frieden etablieren zu können.

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