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Sudan: Machtübernahme des Militärs bedroht Menschenrechte

Friedliche Proteste zulassen; politische Beteiligung aller respektieren; Inhaftierte freilassen

Pro-demokratische Demonstrant*innen zeigen das Siegeszeichen, als sie in Khartum, Sudan, am 25. Oktober 2021 auf die Straße gehen, um eine Machtübernahme durch das Militär zu verurteilen. © 2021 AP Photo/Ashraf Idris

(Nairobi) - Die sudanesische Militärführung, die für den Putsch vom 25. Oktober 2021 verantwortlich ist, sollte die Rechte der gesamten sudanesischen Bevölkerung respektieren und schützen, einschließlich des Rechts auf Leben und friedlichen Protest. Die Militärs, die inzwischen die Übergangsregierung aufgelöst und den Ausnahmezustand verhängt haben, sollten von unnötiger und unverhältnismäßiger Gewaltanwendung absehen, politische Führungspersönlichkeiten und andere willkürlich Inhaftierte unverzüglich freilassen und alle Kommunikationskanäle wiederherstellen.

In den frühen Morgenstunden des 25. Oktober berichteten die
Medien, dass Sicherheitskräfte mindestens fünf Minister sowie weitere Beamte und führende Politiker verhaftet hätten. Berichten zufolge stellte das Militär Premierminister Abdalla Hamdok unter Hausarrest und brachte ihn und seine Frau an einen nicht näher benannten Ort. Am Mittag verkündete Generalleutnant Abdel Fattah al-Burhan, der Vorsitzende des Souveränen Rates - eines kollektiven Präsidialorgans, dem sowohl Zivilisten als auch führende Militärs angehören - in einer Fernsehansprache, dass er den Ausnahmezustand verhänge und sowohl das Ministerkabinett als auch den Souveränen Rat auflöse.

„Die Militärjunta sollte die Opfer und die harte Arbeit der Sudanes*innen aus allen Gesellschaftsschichten für einen gerechteren, die Menschenrechte achtenden Sudan nicht aufs Spiel setzen“, sagte Mausi Segun, Afrika-Direktorin bei Human Rights Watch. „Die Militärbehörden sollten die Sicherheitskräfte anweisen, das Recht des Volkes auf Protest in vollem Umfang zu respektieren und zu schützen, und alle Militärs, die übermäßige Gewalt anwenden, umgehend zur Rechenschaft ziehen.“

Als die Nachricht von der Machtübernahme sich in den frühen Morgenstunden in den sozialen Medien verbreitete, riefen mehrere prodemokratische, darunter die Sudanese Professionals Association, eine Dachorganisation von Berufsverbänden, die an der Spitze der Proteste 2018/19 stand, die Menschen zum Protest auf, um ihre „Revolution“ zu verteidigen. Berichten zufolge patrouillierten Sicherheitskräfte, vor allem die sudanesischen Streitkräfte (SAF) und die schnellen Eingreiftruppen (RSF), durch verschiedene Teile der Hauptstadt. Medizinischen Quellen zufolge wurden drei Demonstrierende durch Schüsse getötet. Etwa 80 Menschen wurden Berichten zufolge verletzt. Zwei Demonstrierende berichteten Human Rights Watch, dass auf Demonstrierende in der Nähe des Hauptquartiers der sudanesischen Streitkräfte in Khartum mit scharfer Munition geschossen wurde. Der Zugang zum Internet und die Kommunikation über Mobiltelefone und per Textnachricht wurden zumindest in Khartum massiv unterbrochen. Der Zugang zu aktuellen und genauen Informationen, insbesondere in einer so heiklen Zeit, ist von entscheidender Bedeutung, und die Behörden sollten niemals breit angelegte, wahllose Abschaltungen vornehmen, um den Informationsfluss zu stoppen oder die um Menschen daran zu hindern, ihre politischen Ansichten zu äußern, so Human Rights Watch.

Die sudanesische Übergangsbehörde ist an der Macht, seit Volksproteste die 30-jährige Herrschaft von Omar al-Bashir beendeten und den Weg für ein Abkommen zur Aufteilung der Macht zwischen dem Militär und der Zivilbevölkerung im Juli 2019 ebneten. Sie hat die Aufgabe, das Erbe der Unterdrückung und der Menschenrechtsverletzungen sowie die schwere Wirtschaftskrise zu bewältigen.

Die aktuelle Machtübernahme birgt die Gefahr, dass die kleinen, aber wichtigen Fortschritte, die in den letzten zwei Jahren unter der inzwischen aufgelösten Übergangsregierung erzielt wurden, wieder zunichte gemacht werden, so Human Rights Watch.

Während der Übergangszeit hat der Sudan wichtige internationale Verträge ratifiziert. Die Behörden haben 11 Todesfälle von Demonstrierenden durch Regierungstruppen strafrechtlich verfolgt. Diese Fälle werden nun vor Gericht verhandelt.

Dennoch ist Straflosigkeit für Übergriffe durch Sicherheitskräfte nach wie vor weit verbreitet. Die Militärbehörden haben sich geweigert, bei der Sicherung von Beweisen oder der Aufhebung der Immunität in mehreren Ermittlungen zu kooperieren. Im unruhigen Darfur haben die Behörden trotz des Friedensabkommens vom Oktober 2020 weder für Sicherheit noch für Gerechtigkeit gesorgt. Die Gewalt im Januar und April in al-Geneina, der Hauptstadt von West-Darfur, kostete über 300 Menschenleben, zwang Tausende zur Flucht aus ihren Häusern und führte zu massiver Zerstörung von Eigentum.

Die Machtübernahme durch das Militär folgt auf wochenlange, zunehmende politische Spannungen. Die Militärs beschuldigten ihre zivilen Gegenüber, am 21. September
einen Putschversuch unternommen zu haben. Bemühungen ziviler Regierungsmitglieder um eine Reform des Sicherheitssektors lösten eine heftige Gegenreaktion des Militärs aus, unter anderem von al-Burhan. Das Militär nahm nach dem Putschversuch nicht mehr an gemeinsamen Sitzungen mit zivilen Mitgliedern teil, was die Annahme eines Beschlusses des Ministerkabinetts verzögerte, al-Bashir und zwei weitere Personen an den Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) auszuliefern.

Eine Gruppe von Zivilist*innen und einige ehemalige Rebell*innen begannen am 16. Oktober ein Sit-In vor dem Präsidentenpalast und forderten die Auflösung von Hamdoks Kabinett und die Machtübernahme durch das Militär. Als Reaktion darauf gingen am 21. Oktober Tausende Anhänger*innen der Demokratiebewegung auf die Straße, wiederholten ihre Forderung nach einer zivilen Regierung und forderten rasche Reformen und die Umsetzung einer Gerechtigkeitsagenda.

Die im Juli 2019 vereinbarte Übergangscharta sah vor, dass das Militär 21 Monate lang den Vorsitz im Übergangsrat innehat, gefolgt von 18 Monaten ziviler Führung. Die Vereinbarung wurde später durch das Friedensabkommen von Juba geändert, wodurch die Übergangszeit um ein weiteres Jahr verlängert wurde. Unterschiedliche Auffassungen über die Übergabe des Vorsitzes im Übergangsrat trugen ebenfalls zu wachsenden Spannungen bei.

Die sudanesischen Sicherheitskräfte, einschließlich der RSF, haben eine gut dokumentierte Bilanz von Übergriffen, auch bei Protesten. Am 3. Juni 2019 und in den darauffolgenden Tagen, als das Land noch von einem Militärischen Übergangsrat regiert wurde, lösten Sicherheitskräfte unter Führung der RSF ein Sit-In in Khartum brutal auf, töteten mehr als 120 Demonstrierende, verletzten Hunderte und wendeten sexualisierte Gewalt an. Auch an anderen Orten in der Hauptstadt und in weiteren Städten gingen sie brutal gegen Demonstrierende vor. Die Sicherheitskräfte haben zudem den Internetzugang wochenlang unterbrochen und sind weiterhin mit exzessiver, auch tödlicher Gewalt gegen Demonstrierende vorgegangen.

Mehrere internationale Akteure, darunter die USA, Großbritannien und Deutschland, haben in den letzten Tagen ihre Unterstützung für den zivilen Übergang im Sudan deutlich gemacht. Die internationale Gemeinschaft sollte nicht nur Druck auf die sudanesische Militärführung ausüben, damit diese die Menschenrechte respektiert, sondern sie sollte auch darauf drängen, dass diese die Fortschritte bei der Reformagenda nicht beeinträchtigt oder gar umkehrt, sagte Human Rights Watch.

„Es könnte momentan nicht mehr auf dem Spiel stehen“, sagte Segun. „Die internationalen und regionalen Partner des Sudan müssen deutlich machen, dass die kleinen, aber wichtigen Schritte zur Wiedergutmachung des angerichteten Schadens und zur Schaffung eines positiveren Rechtsrahmens nicht verloren gehen dürfen. Sie sollten die Rechtslage vor Ort streng überwachen und das Militär drängen, alle politischen Gefangenen unverzüglich freizulassen und willkürliche Einschränkungen wichtiger Rechte zu beenden.“

Update: Der abgesetzte Premierminister Abdalla Hamdok ist mittlerweile aus der Haft entlassen und unter Bewachung in seinem Haus.

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