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FIFA: Faires Verfahren für Whistleblower aus dem WM-Organisationskomitee sicherstellen

Katars WM-Organisatoren haben Staatssicherheit einbezogen

Abdullah Ibhais in einem Restaurant. © 2021 Abdullah Ibhais

(Beirut) – Die FIFA sollte die katarischen Behörden öffentlich auffordern, einen fairen Prozess für den inhaftierten ehemaligen Mitarbeiter des katarischen WM-Organisationskomitees sicherzustellen, so Human Rights Watch und FairSquare in einem Schreiben an die FIFA vom 19. November 2021.

Der frühere Medien- und Kommunikationschef Abdullah Ibhais wurde am 15. November in Gewahrsam genommen, nachdem er gegen eine im April 2021 verhängte fünfjährige Haftstrafe wegen Bestechung und der Veruntreuung von Geldern Berufung eingelegt hatte. Nach Angaben eines Familienmitglieds befindet er sich seit seiner Verhaftung im Hungerstreik.

„Es macht immer mehr den Anschein, dass Abdullah Ibhais aufgrund von Verdächtigungen und Paranoia inhaftiert ist und nicht aufgrund von Beweisen für ein Fehlverhalten“, sagte Nick McGeehan, Direktor von FairSquare. „Er wird wahrscheinlich so lange dort bleiben, bis die FIFA ein Mindestmaß an Verantwortung für sein Wohlergehen übernimmt und fordert, dass er den fairen Prozess bekommt, den er verdient.“

Einem Bericht der Polizei von Katar und Zeugenaussagen zufolge hat der Oberste Rat für Organisation und Nachhaltigkeit (Supreme Committee for Delivery and Legacy – SC), Partner der FIFA in Katar und Arbeitgeber von Ibhais, äußerst heikle und offenbar unbegründete und vage Anschuldigungen vorgebracht. Zum Beispiel, dass Ibhais in Aktivitäten verwickelt sei, die darauf abzielten, „dem Staat oder seiner Sicherheit zu schaden“. Ibhais erklärte gegenüber Human Rights Watch und FairSquare am 22. September, dass er bereits am 12. November 2019 das erste Mal verhaftet wurde. Anschließend hätte die Staatssicherheit eine Untersuchung eingeleitet und Vernehmungsbeamte hätten ihn zu einem Geständnis gezwungen, und zwar für die weniger schwerwiegenden Straftaten Bestechung und Veruntreuung von Staatsgeldern. Ibhais hat dieses Geständnis vor Gericht widerrufen, und es ist weiterhin das einzige belastende Beweisstück, das gegen ihn vorgelegt wurde. Er beantragte vor Gericht, das Geständnis als ungültig zu erklären, da er es unter Drohungen und Zwang abgelegt hatte und ihm die Anwesenheit eines Anwalts verweigert worden war, doch sein Antrag wurde abgelehnt.

In einem Schreiben vom 4. Oktober wiesen Human Rights Watch und FairSquare die FIFA darauf hin, dass Ibhais der Ansicht ist, seine interne Kritik am Umgang des Obersten Rats mit einem Streik von Arbeitsmigrant*innen im August 2019 sei der eigentliche Grund für seine strafrechtliche Verfolgung und Verurteilung wegen „Bestechung“, „Verletzung der Integrität von Ausschreibungen und Gewinnen“ sowie „vorsätzlicher Schädigung öffentlicher Mittel“.

Die einzige öffentliche Reaktion der FIFA auf das unfaire Verfahren gegen Ibhais, das er am 21. September auch direkt über die Whistleblowing-Plattform der FIFA meldete, war eine kurze Erklärung vom 8. November, in der es hieß: „Die FIFA ist der Meinung, dass jede Person das Recht auf einen fairen Prozess hat, in dem alle ordnungsgemäßen rechtsstaatlichen Verfahren eingehalten und respektiert werden.“

Am 25. Oktober erschienen in der Zeitschrift Josimar neue detaillierte Anschuldigungen, die die Behauptungen von Ibhais belegen. Josimar veröffentlichte Auszüge aus mutmaßlich internen WhatsApp-Chats, in denen Mitglieder des Obersten Rats auf Vorwürfe reagierten, wonach am Bau eines WM-Stadions beteiligte Arbeitende sich im August 2019 an einem großen Streik in Katar beteiligt hätten. In diesen Chats hätte Ibhais seinen Kolleg*innen und Vorgesetzten geraten, die Tatsache nicht zu beschönigen, dass auch Arbeiter*innen am Streik beteiligt waren, die im Auftrag des Obersten Rats tätig sind, sondern es zu akzeptieren und die Situation der Arbeitenden sofort zu verbessern.

„Wir müssen die Sache in Ordnung bringen und uns dann um die Öffentlichkeitsarbeit kümmern“, sagte er zu seinem direkten Vorgesetzten. In den Wochen nach diesem Vorfall veranlasste der Oberste Rat die katarischen Behörden dazu, Ermittlungen gegen Ibhais einzuleiten. Er legte ihnen einen Bericht einer internen Untersuchung mit äußerst schwerwiegenden Anschuldigungen vor, die eine Ermittlung durch die Staatssicherheit rechtfertigten.

FairSquare und Human Rights Watch haben diesen internen Untersuchungsbericht zwar nicht eingesehen, dafür allerdings einen Bericht der katarischen Kriminalpolizei vom 9. November 2019, den ihnen Ibhais vorgelegt hatte. Darin geht es um eine Beschwerde des Obersten Rats an die Polizeidirektion über ein „Informationsleck“ im Zusammenhang mit einer Ausschreibung für einen Social-Media-Vertrag. In der Beschwerde wird eine Verbindung zwischen Ibhais und zwei anderen Personen hergestellt, seinem Bruder in der Türkei und einer prominenten Medienfigur, die dem Bericht zufolge „vermutlich die saudische Staatsangehörigkeit hat“.

Im Bericht der Kriminalpolizei heißt es: „Sie [der Oberste Rat] vermuten auch, dass andere Aspekte mit diesem Thema verbunden sind […] was darauf hindeutet, dass die beiden Letztgenannten Verbindungen zu den Embargoländern haben und mit ihnen Geschäfte machen.“ Dies ist eine Anspielung auf den Abbruch der diplomatischen und wirtschaftlichen Beziehungen zu Katar durch Saudi-Arabien, die Vereinigten Arabischen Emirate, Bahrain und Ägypten, der im Juni 2017 eintrat und zu erheblichen politischen Spannungen führte.

In dem Bericht der Kriminalpolizei heißt es, dass diese Verbindung mit der Person mit saudischer Staatsangehörigkeit, die sich dem Bericht zufolge auch für einen separaten Social-Media-Vertrag beworben hatte, „zeigt, dass jemand die sozialen Medien in all ihren Sprachen kontrollieren will, um eine Aktion oder etwas vorzubereiten, das dem Staat oder seiner Sicherheit durch die oben genannten Social-Media-Ausschreibungen schadet“.

In Anbetracht der sich zuspitzenden regionalen Spannungen zu dieser Zeit bestand ein vorhersehbares und ernsthaftes Risiko, dass die formelle Erhebung eines solchen politisch aufgeladenen Vorwurfs bei den katarischen Ermittlungsbehörden schwerwiegende Folgen für Ibhais haben würde, so Human Rights Watch und FairSquare.

Nach seiner ersten Verhaftung wurde Ibhais sowohl von der Staatsanwaltschaft als auch von der Staatssicherheit verhört. Die Staatsanwälte hätten ihm wörtlich gesagt: „Entweder Sie unterschreiben hier ein Geständnis oder wir schicken Sie zur Staatssicherheit, wo man weiß, wie man ein Geständnis aus Ihnen herausbekommt.“ Daraufhin teilten ihm die Ermittler der Staatssicherheit mit, dass weitere Anschuldigungen gegen ihn vorlägen, dass er aber aus dem Gewahrsam der Staatssicherheit entlassen werden und einen Verteidiger bekommen könne, wenn er die Veruntreuung öffentlicher Gelder gestehe. Ibhais erklärte gegenüber Human Rights Watch und FairSquare, dass er das zweite Geständnis unterschrieben habe, weil er „unglaubliche Angst davor hatte, dass die Staatssicherheit gegen ihn ermitteln könnte“.

Weder die katarischen Behörden noch der Oberste Rat haben öffentlich Beweise für ein Fehlverhalten von Ibhais vorgelegt, geschweige denn dafür, dass er versucht hat, „dem Staat zu schaden“.

Aus der Untersuchung des Gerichtsurteils geht hervor, dass sich die Anklage gegen Ibhais vor allem auf dieses Geständnis stützte und dass die Ermittlungsbehörden keine glaubwürdigen Beweise dafür vorlegten, dass er ein Verbrechen begangen hatte. In seiner Zeugenaussage räumte der interne Ermittler des Obersten Ausschusses, Khalid Al-Kubaisi, ein, dass sich aus seinem Bericht nicht schließen lässt, dass Ibhais ein Verbrechen begangen habe.

Der mit der Untersuchung der Vorwürfe beauftragte Polizeibeamte erklärte in seiner Zeugenaussage vor dem Gericht, er habe die Echtheit der Aufnahmen nicht untersucht. Auf die Frage, was seine Ermittlungen in Bezug auf die Ibhais zugeschriebenen angeblichen Informationslecks ergeben hätten, antwortete er: „Ich weiß es nicht.“ Auf die Frage, ob seine Ermittlungen ergeben hätten, dass Ibhais Informationen weitergegeben habe, die den vorliegenden Fall beträfen, entgegnete er: „Nein“.

In den Leitprinzipien der FIFA zu Menschenrechtsfragen heißt es: „Die FIFA trägt zum Schutz aller bei, die sich für die Achtung der Menschenrechte im Zusammenhang mit ihren Aktivitäten einsetzen, und verpflichtet sich, dazu beizutragen, dass Personen, die durch Aktivitäten im Zusammenhang mit der FIFA geschädigt wurden, Gerechtigkeit widerfährt.“ Ibhais reichte am 21. September eine Beschwerde über das Whistleblowing-System der FIFA (BKMS System) ein, eine Plattform für alle, die der Meinung sind, dass ihre Rechte im Zusammenhang mit der Arbeit für die FIFA verletzt wurden. Die FIFA versandte über dasselbe System eine formelle Antwort: „Wir werden die Angelegenheit weiterhin aufmerksam verfolgen, um sicherzustellen, dass jeder Prozess fair ist und der ordentliche Verfahrensweg eingehalten wird.“ Ibhais zufolge gab es keine weitere Kommunikation mit ihm und der Menschenrechtsbeauftragte der FIFA habe seit dem 5. Oktober nicht mehr auf seine Nachrichten reagiert.

Die FIFA arbeitet eng mit dem Obersten Rat für Organisation und Nachhaltigkeit zusammen und unterhält geschäftliche Beziehungen zu einem Unternehmen, das von den leitenden Angestellten des Obersten Rats geleitet und geführt wird. Die FIFA World Cup Qatar 2022 LLC ist eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung, die Anfang 2019 von der FIFA und dem katarischen WM-Organisationskomitees gegründet wurde, wobei die FIFA 51 Prozent und das lokale Organisationskomitee 49 Prozent der Anteile hält. Hassan Al Thawadi, der Generalsekretär des Obersten Rates, ist der Vorsitzende des Joint Ventures, und Nasser Al-Khater, der stellvertretende Generalsekretär des Obersten Rates, ist dessen Geschäftsführer.

„Wenn die FIFA sich weigert, einzugreifen und sich dafür einzusetzen, dass Ibhais einen fairen Prozess bekommt, der nicht auf einem erzwungenen Geständnis beruht, sind ihre Menschenrechtsrichtlinien offenbar das Papier nicht wert, auf dem sie geschrieben stehen“, sagte Michael Page, stellvertretender Direktor für den Nahen Osten bei Human Rights Watch.

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