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Von links nach rechts: Saud Khalifa al-Thani, Najeeb al-Nueimi, Abdullah al-Mohannadi, Muhammad al-Sulaiti.  © Private 2022

(Beirut) - Die katarischen Sicherheitsbehörden haben gegen mindestens vier Bürger willkürliche Reiseverbote auf unbestimmte Zeit verhängt, ohne ein Gerichtsverfahren oder eine klare Rechtsgrundlage, so Human Rights Watch und das Gulf Centre for Human Rights (GCHR) heute. Staatliche Sicherheitskräfte nahmen einen der Männer im Oktober 2020 fest, nachdem er Tweets gepostet hatte, in denen er willkürliche Reiseverbote gegen sich selbst und andere kritisierte. Seitdem befindet er sich in Haft.

Human Rights Watch und GCHR befragten drei der Männer sowie Personen aus dem nahen Umfeld des vierten, und überprüften relevante Dokumente für alle vier, aus denen hervorging, dass die staatlichen Sicherheitsbehörden die Reiseverbote außerhalb jeglicher rechtlicher Verfahren verhängen und sich in einigen Fällen de facto über Gerichtsbeschlüsse hinwegsetzen. Gegen einen der Betroffenen wurden auch finanzielle Sanktionen verhängt, u.a. wurden seine Bankkonten gesperrt. Diese willkürlichen Sanktionen haben den Betroffenen und ihren Familien materiellen und psychologischen Schaden zugefügt.

„Die Verhängung unbefristeter und willkürlicher Reiseverbote für Bürger*innen steht in krassem Gegensatz zu dem Bild, das die katarischen Behörden der Welt von der Achtung der Menschenrecht vermitteln wollen, insbesondere im Vorfeld der Fußballweltmeisterschaft 2022“, sagte Michael Page, stellvertretender Direktor für den Nahen Osten bei Human Rights Watch. „Willkürliche Maßnahmen der staatlichen Sicherheitskräfte schwächen das Vertrauen darin, dass die katarischen Behörden ein ordentliches Verfahren einhalten.“

Ein Gesetz aus dem Jahr 2003, das die Aufgaben, Ziele und Befugnisse des katarischen Staatssicherheitsapparats umreißt, verleiht diesem weitreichende und nahezu unkontrollierte Exekutivbefugnisse. Nach diesem Gesetz ist der Staatssicherheitsapparat direkt dem Emir unterstellt und hat die „uneingeschränkte“ Befugnis, Ermittlungen durchzuführen, sofern der Emir nichts anderes anordnet.

Das Gesetz verbietet Einzelpersonen sowie staatlichen und nichtstaatlichen Gruppen, Informationen „gleich welcher Art“, die vom Präsidenten des Staatssicherheitsapparats angefordert werden, zu verheimlichen oder sich zu weigern, ihm diese vorzulegen. Das Gesetz sieht ferner vor, dass der Präsident des Staatssicherheitsapparats seine Aktivitäten sowie die Quellen und Mittel zu deren Beschaffung nur mit Sondergenehmigung des Emirs offenlegen darf.

Die vier Betroffenen sind: Abdullah al-Mohannadi, ein Geschäftsmann, gegen den die Behörden 2013 ein Reiseverbot verhängt haben, das bis heute gilt; Saud Khalifa al-Thani, ein ehemaliger Mitarbeiter des Innenministeriums, der das 2016 gegen ihn verhängte Reiseverbot anfechtet; Najeeb al-Nueimi, ehemaliger Justizminister, gegen den 2017 ein Reiseverbot verhängt wurde, das bis heute nicht aufgehoben wurde; und Muhammad al-Sulaiti, ein katarischer Staatsangehöriger mit Wohnsitz in den USA, gegen den die Behörden 2018 ein Reiseverbot verhängt hatten und der seit Oktober 2020 in Haft ist.

Sicherheitskräfte in Zivil nahmen al-Sulaiti am 4. Oktober 2020 in seinem Haus in Doha fest, so eine ihm nahestehende Quelle, und hielten ihn zwei Wochen lang in Isolationshaft. Einige Wochen vor seiner Festnahme hatte al-Sulaiti in den sozialen Medien eine Erklärung von Amnesty International geteilt, in der er auf die willkürlichen Reiseverbote hinwies, denen er und andere Bürger*innen in Katar ausgesetzt waren. Amnesty International berichtete auch, dass er auf seinem Twitter-Account, der nach seiner Verhaftung gesperrt wurde, eine Umfrage gepostet hatte, um Informationen zu willkürlich mit Reiseverboten belegte Katarer*innen zu sammeln.

Al-Sulaiti lebte seit 2015 in den USA, wo er zwei Unternehmen besaß. Die Behörden nahmen ihn erstmals 2018 am internationalen Flughafen Hamad fest, als er sich auf die Ausreise vorbereitete, und hielten ihn willkürlich fünf Monate lang ohne Anklage fest, so eine ihm nahestehende Quelle. Seit seiner Freilassung gilt für ihn ein Reiseverbot.

Das Innenministerium verhängte das Reiseverbot gegen al-Thani im Jahr 2016 auf der Grundlage einer Verwaltungsanweisung ohne Angabe von Gründen. Er sagte, er habe am 1. April 2019 beim Gericht erster Instanz Widerspruch gegen das Verbot eingereicht. Human Rights Watch hat die von ihm vorgelegten Gerichtsunterlagen geprüft, aus denen hervorgeht, dass das Gericht zu seinen Gunsten entschieden und das Einreiseverbot von 2016 mit Wirkung zum 8. Mai 2019 aufgehoben hat.

Al-Thani sagte jedoch, dass unbekannte Männer ihn noch im selben Monat in seiner Wohnung verhafteten, ohne einen Haftbefehl vorzulegen. Er sagte, sie hätten ihn zu einem Büro der Staatssicherheit gebracht, wo Beamte ihn zu einem Zeitungsartikel über seinen Fall befragt hätten sowie dazu, wie er an eine Kopie des Dokuments gekommen sei, aus dem hervorgeht, welche Behörde sein Reiseverbot von 2016 verhängt hatte. Die staatlichen Sicherheitskräfte hielten Al-Thani 37 Tage lang fest und ließen ihn dann ohne Anklage wieder frei. Etwa zur gleichen Zeit erließ das Büro für Staatssicherheit ein weiteres Reiseverbot aus nicht näher genannten Gründen der „Staatssicherheit“.

Ein Berufungsgericht lehnte einen Einspruch von al-Thani am 2. Dezember 2021 ab. Er darf das Land weiterhin nicht verlassen, obwohl er dies aus medizinischen Gründen mehrfach beantragt hat.

Die katarischen Behörden hielten al-Mohannadi 2007 etwa drei Wochen lang fest, nachdem Beamte des Innenministeriums ihn verhört hatten, weil er auf Online-Plattformen Kritik an Beamten des Ministeriums geübt hatte. Im September 2013 verhängten die Behörden ein willkürliches Reiseverbot gegen al-Mohannadi und froren ohne Gerichtsbeschluss sein gesamtes privates und geschäftliches Vermögen ein.

Der staatliche Sicherheitsapparat untersagte den Banken, seine finanziellen Transaktionen zu genehmigen, und verweigerte ihm die Einreise über den internationalen Flughafen Hamad. Im November 2018 erhielt al-Mohannadi eine SMS, in der ihm mitgeteilt wurde, dass das Reiseverbot aufgehoben sei. Als er jedoch im Januar 2019 in die Türkei reisen wollte, verweigerten ihm die Beamten am Flughafen die Ausreise mit der Begründung, es gelte weiterhin ein Reiseverbot der Staatssicherheit für ihn.

Dr. al-Nuaimi, Justizminister von 1995 bis 1997, unterliegt seit 2017 einem willkürlichen Reiseverbot. Al-Nuaimi erfuhr von seinem Reiseverbot im Januar 2017 durch eine Textnachricht der Generaldirektion für Pässe und der Staatsanwaltschaft mit seiner nationalen ID-Nummer. Al-Nuaimi erwirkte im Juni 2017 einen Gerichtsbeschluss, in dem festgestellt wurde, dass „die Grundlage für das Verbot nicht mehr gegeben ist“, und der die „Aufhebung des gegen den Beschwerdeführer verhängten Reiseverbots“ anordnete. Die Behörden hindern al-Nuaimi jedoch weiterhin daran, das Land zu verlassen.

Al-Nuaimi hatte als Verteidiger des Dichters Mohammad al-Ajami fungiert, der 2012 wegen einer privaten Darbietung eines den Emir kritisierenden Gedichts zu lebenslanger Haft verurteilt worden war. Al-Ajami wurde im März 2016 nach einer königlichen Begnadigung freigelassen.

Artikel 7 des 2008 geänderten Gesetzes über den Staatssicherheitsapparat ermächtigt den Leiter des Staatssicherheitsapparats, eine Person, die einer Straftat beschuldigt wird, welche in die Zuständigkeit des Apparats fällt, für maximal 30 Tage an der Ausreise zu hindern, bevor sie der Staatsanwaltschaft vorgeführt wird. Das Verbot kann auf Anordnung des Generalstaatsanwalts um weitere sechs Monate verlängert werden. Der Artikel schreibt nicht vor, dass die von einem Einreiseverbot betroffene Person informiert werden muss oder dass ihr die Gründe für das Verbot oder die zugrunde liegenden Beweise mitgeteilt werden müssen, und er sieht keine Möglichkeit vor, die Entscheidung rechtlich anzufechten.

Nach einem offiziellen Besuch in Katar im Jahr 2019 stellte die UN-Arbeitsgruppe für willkürliche Inhaftierungen fest, dass ihr der Besuch des Staatssicherheitsgefängnisses nicht gestattet wurde und dass das Gesetz über den Staatssicherheitsapparat „keine richterliche Aufsicht über solche Inhaftierungen vorsieht und die Arbeitsgruppe darüber informiert wurde, dass solche Inhaftierungen in der Praxis zu sehr langen Haftzeiten führen, was einen Verstoß gegen internationale Menschenrechtsnormen darstellt.“

Nach dem Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte, den Katar 2018 ratifiziert hat, hat jeder Mensch das Recht, jedes Land zu verlassen, auch sein eigenes. Der Vertrag erlaubt es Ländern, dieses Recht einzuschränken, sofern dies gesetzlich vorgesehen, notwendig und verhältnismäßig ist, um die nationale Sicherheit, die öffentliche Ordnung, die öffentliche Gesundheit, die Moral oder die Rechte und Freiheiten anderer zu schützen.

„Die eklatante Missachtung von Gerichtsbeschlüssen ist ein Zeichen dafür, dass die Sicherheitsbehörden nach Belieben handeln und sich einfach über die Rechtsstaatlichkeit hinwegsetzen können“, sagte Khalid Ibrahim, Geschäftsführer des Gulf Centre for Human Rights.

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