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31. Januar 2022

Thomas Bach
Präsident des Internationalen Olympischen Komitees
Château de Vidy, 1007 Lausanne, Schweiz

Betrifft: Die Sorgfaltspflicht des IOC in Bezug auf Menschenrechte und Arbeitsbedingungen in China

Sehr geehrter Herr Bach,

wir reagieren mit diesem Schreiben auf die Veröffentlichung eines Due-Diligence-Dokuments des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) über zwei Zulieferer, die IOC-eigene Markenprodukte für die Olympischen Winterspiele in Peking 2022 herstellen. Wir möchten Fragen zum Prozess stellen und die Bedenken von Human Rights Watch und der Coalition to End Forced Labor in the Uyghur Region (EUFL) über inhaltliche Lücken und Transparenz in der Lieferkette im Zusammenhang mit dem aktuellen Kontext in China zum Ausdruck bringen.

Im Dezember 2020 forderte Human Rights Watch das IOC in einem Schreiben auf, bei den Vorbereitungen für die Olympischen Spiele 2022 in Peking eine solide menschenrechtliche Due-Diligence-Prüfung durchzuführen und bis Februar 2021 seine Bemühungen zu erläutern zum Umgang mit den Menschenrechtsrisiken, die mit den Spielen verbunden sind. Viele andere Menschenrechtsorganisationen, darunter die EUFL-Koalition, forderten das IOC ebenfalls auf, sich mit ihnen in Verbindung zu setzen, und warnten vor dem Risiko, dass Produkte, die unter der Marke Olympia vertrieben werden, durch Zwangsarbeit hergestellt wurden. Die Sorgfaltspflicht in Bezug auf die Menschenrechte ist ein wichtiger Bestandteil des Rahmens der Leitprinzipien der Vereinten Nationen für Wirtschaft und Menschenrechte (die „Leitprinzipien“) und steht im Einklang mit der Verpflichtung des IOC, einen strategischen Rahmen für die Menschenrechte zu schaffen.

Die Spiele 2022 in Peking finden unter deutlich schlechteren Bedingungen für die Menschenrechte statt als die Spiele 2008 in Peking, wie das harte Vorgehen der chinesischen Regierung gegen Aktivist*innen, Anwält*innen und Menschenrechtsverteidiger*innen, die willkürliche Masseninhaftierung von einer Million Uigur*innen und turkstämmigen Muslimen in Xinjiang (Region der Uiguren) und der Einsatz extrem invasiver Überwachungstechnologien zeigen. Die chinesische Regierung hat die Grundfreiheiten in Hongkong drastisch beschnitten und versucht, internationale Menschenrechtsstandards und -institutionen zu untergraben, vor allem bei den Vereinten Nationen.

Das IOC gab 2019 die Hengyuanxiang (HYX) Group und Anta als offizielle Lieferanten für Sportbekleidung bis Ende 2022 bekannt, somit auch für die Spiele 2022 in Peking. Der IOC-Lieferantenkodex datiert vom September 2018 und besagt, dass das IOC die Einhaltung seiner Anforderungen durch „verschiedene Methoden, einschließlich der Überprüfung dokumentierter Nachweise oder unabhängiger Fachaudits, wenn dies als relevant erachtet wird“, überwachen wird.  Neben der Hengyuanxiang (HYX) Group und Anta, den beiden einzigen Lieferanten, die im Fokus dieser Due-Diligence-Prüfung stehen, setzt das IOC auch auf andere Lieferanten für olympische Markenartikel für Peking 2022.

Im September 2020 erklärten fünf internationale Audit-Unternehmen, dass sie die Lieferketten von Unternehmen in Xinjiang (uigurische Region) nicht mehr prüfen könnten, da es aufgrund der Kontrollen und Repressionen der chinesischen Regierung zu schwierig sei, festzustellen, ob in den Fabriken Zwangsarbeit herrscht. Die Better Cotton Initiative, der Marken wie Adidas, Nike und Gap angehören, bezeichnete die uigurische Region als ein „unhaltbares Betriebsumfeld“.

Medienorganisationen haben berichtet, dass sowohl die Hengyuanxiang (HYX) Group als auch Anta weiterhin Baumwolle aus der uigurischen Region verwenden. Forscher*innen und Menschenrechtsgruppen haben aussagekräftige Beweise für Zwangsarbeit in der uigurischen Baumwollindustrie gefunden. Der IOC-Lieferantenkodex 2018 verlangt von den Lieferanten, dass sie „sicherstellen, dass sie sich nicht an Menschenrechtsverletzungen beteiligen“ und besagt, dass „Verstöße gegen den IOC-Lieferantenkodex die Geschäftsbeziehung des Lieferanten mit dem IOC gefährden und zur Beendigung des Vertrags oder der Zusammenarbeit führen können.“

In Anbetracht dessen wären wir Ihnen für die Beantwortung der folgenden Fragen dankbar:

  1. Welche menschenrechtliche Due-Diligence-Prüfung wurde vor der Aufnahme der Beziehungen zur Hengyuanxiang (HYX) Group und zu Anta durchgeführt, auch in Bezug auf deren Tätigkeiten in und Materialbeschaffung aus der uigurischen Region? Welche menschenrechtliche Sorgfaltsprüfung in Bezug auf die Tätigkeiten der Hengyuanxiang (HYX) Group und Antas wurde zwischen 2019 und September 2021 durchgeführt?
  2. Welche anderen Lieferanten neben der Hengyuanxiang (HYX) Group und Anta liefern Produkte für das Pekinger Organisationskomitee für die Olympischen Spiele (BOCOG), die die Marke „Fünf Ringe“ oder „Olympia“ tragen? Gibt es hier Betriebe, Zulieferer oder Geschäftsbeziehungen, direkte oder indirekte, auch bei der Beschaffung von Rohstoffen, mit Einrichtungen in der uigurischen Region? Welcher Sorgfaltspflicht ist das BOCOG angesichts des Risikos uigurischer Zwangsarbeit bei diesen anderen Unternehmen wie nachgekommen?
  3. Wer war die dritte Partei, die die Zulieferer des IOC für seine eigenen Markenprodukte für Peking 2022 überprüft hat, wie in Ihrem Dokument zum Konzept für verantwortungsvolle Beschaffung beschrieben?
  4. Der IOC-Lieferantenkodex unterstreicht die Wichtigkeit der Transparenz und behält dem IOC das Recht vor, Informationen über die sozialen, ökologischen und ethischen Kriterien eines Lieferanten offenzulegen, einschließlich vollständiger Angaben zu allen genutzten Standorten (z.B. Fabriken).  Bitte legen Sie daher offen:
    1. Eine Zusammenfassung der Auditberichte, die für die Hengyuanxiang (HYX) Group, Anta und andere Hauptlieferanten der IOC-eigenen Markenprodukte für Peking 2022 durchgeführt wurden, einschließlich des Auditumfangs, der Methode, der wichtigsten Feststellungen, der Pläne für Abhilfemaßnahmen und des Fortschritts bei solchen Abhilfemaßnahmen.
    2. Welche Maßnahmen wurden gegebenenfalls während der Audits ergriffen, um sicherzustellen, dass die Arbeiter*innen frei mit den Auditor*innen sprechen konnten, ohne Repressalien fürchten zu müssen? An welchen Standorten wurden die Befragungen der Arbeiter*innen durchgeführt? War die Leitung der überprüften Einrichtungen darüber informiert, wer von den Prüfer*innen befragt wurden?
    3. Alle Namen, Adressen und sonstigen Angaben zu den Produktionsstätten (d.h. Konfektionsbetriebe, Stofffabriken, Spinnereien sowie Baumwollfarmen und -entkörnungsanlagen) in der Lieferkette der Hengyuanxiang (HYX) Group, von Anta und anderen Hauptzulieferern für die Eigenmarkenprodukte des IOC für Peking 2022. Falls das IOC nicht bereit ist, die Informationen offenzulegen, erläutern Sie bitte die Gründe hierfür.
  5. Welche Informationen haben die Hengyuanxiang (HYX) Group und Anta dem IOC zur Verfügung gestellt, um den behaupteten Ursprungsnachweis für die Materialien zu belegen, die in den Textilprodukten der Eigenmarke des IOC verwendet werden?
  6. Welche Schritte hat das IOC unternommen, um die von der Hengyuanxiang (HYX) Group und Anta behaupteten Ursprungsnachweise zu überprüfen?
  7. Beinhalteten die Prüfungen des IOC bei der Hengyuanxiang Group, Anta Sports und anderen Lieferanten von Eigenmarkenprodukten für Peking 2022 eine Analyse der Beschaffungspraktiken der Unternehmen, einschließlich der Systeme der Unternehmen zur Rückverfolgung und Nachverfolgung jeder Ebene ihrer Lieferketten, zur Durchführung einer menschenrechtlichen Sorgfaltsprüfung bei ihren Lieferanten und zur Ermittlung von Zwangsarbeit in ihren Lieferketten? Welche Ergebnisse haben diese Analysen in Bezug auf die Rückverfolgung der Lieferketten und die verantwortungsvolle Beschaffung der Unternehmen erbracht?
  8. Welche Schritte hat das IOC unternommen, um zu untersuchen, ob die Hengyuanxiang (HYX) Group, Anta oder andere Zulieferer in Bezug auf ihre olympischen und nicht-olympischen Produkte an Menschen- oder Arbeitsrechtsverletzungen in der uigurischen Region oder gegen uigurische oder andere turkstämmige und/oder muslimische Menschen beteiligt sind, einschließlich der Beteiligung an jedweder Form von Zwangsarbeit, und welche Maßnahmen hat das IOC daraufhin ergriffen?
  9. Welche Schritte hat das IOC im Rahmen seines Verfahrens zur Bewertung von Menschenrechtsrisiken unternommen, um eine sinnvolle Konsultation mit potenziell betroffenen Gruppen und anderen relevanten Interessengruppen, einschließlich uigurischer Gruppen, durchzuführen, und welche Ergebnisse haben diese Konsultationen erbracht?

Wir fordern das IOC erneut auf, die in den UN-Leitprinzipien dargelegten Verpflichtungen zügig anzunehmen und zu erfüllen.

Wir würden es begrüßen, wenn Sie uns bis zum 7. Februar 2022 eine Antwort auf diese Fragen und Ersuchen sowie weitere Informationen zukommen lassen würden, damit wir diese in unserer Berichterstattung berücksichtigen können.

Wir danken Ihnen für Ihre Unterstützung in diesen Angelegenheiten. Wenn Sie sich mit uns in Verbindung setzen möchten, finden Sie nachstehend unsere Kontaktdaten.

Mit freundlichen Grüßen

Rushan Abbas, Campaign for Uyghurs

Chloe Cranston, Anti-Slavery International            

Bennett Freeman, Cotton Campaign

Allison Gill, Global Labor Justice-International Labor Rights Forum

Scott Nova, Worker Rights Consortium
Im Namen der Coalition to End Forced Labour in the Uyghur Region

Sophie Richardson, Human Rights Watch

Minky Worden, Human Rights Watch

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