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Griechenland benutzt Migranten für Pushbacks von Asylbewerber*innen

Ausgezogen, ausgeraubt und ohne Chance auf Asyl in die Türkei abgeschoben

Migrantinnen aus Afghanistan halten Schilder mit der Aufschrift "Stop pushbacks" während einer Kundgebung in Athen gegen die Zurückdrängung von Migranten und Asylbewerbern durch Griechenland an der Grenze zur Türkei. 6. Februar 2022. © 2022 Dimitris Aspiotis/Pacific Press/LightRocket via Getty Images

(Athen) - Griechische Sicherheitskräfte setzen Drittstaatsangehörige ein, Männer, die offenbar aus dem Nahen Osten oder Südasien stammen, um Asylbewerber*innen an der griechisch-türkischen Landgrenze zurückzudrängen, so Human Rights Watch in einem neu veröffentlichten Bericht.

Der 29-seitige Bericht „'Their Faces Were Covered': Greece's Use of Migrants as Police Auxiliaries in Pushbacks“ stellt fest, dass die griechische Polizei Asylsuchende an der griechisch-türkischen Landgrenze am Evros-Fluss festhält, ihnen in vielen Fällen die meiste Kleidung abnimmt und ihr Geld, ihre Telefone und anderes Eigentum stiehlt. Dann übergeben sie die Migrant*innen an maskierte Männer, die sie in kleine Boote drängen, sie in die Mitte des Evros-Flusses bringen und sie in das eiskalte Wasser zwingen, damit sie zum Ufer auf der türkischen Seite waten. Keiner von ihnen wird offenbar in Griechenland ordnungsgemäß registriert oder kann dort einen Asylantrag stellen.

„Es lässt sich nicht leugnen, dass die griechische Regierung für die illegalen Pushbacks an ihren Grenzen verantwortlich ist, und der Einsatz von Bevollmächtigten zur Durchführung dieser illegalen Handlungen entbindet sie nicht von ihrer Verantwortung“, sagte Bill Frelick, Direktor für Geflüchteten- und Migrantenrechte bei Human Rights Watch. „Die Europäische Kommission sollte dringend ein Gerichtsverfahren einleiten und die griechische Regierung für die Verletzung der EU-Gesetze, die kollektive Ausweisungen verbieten, zur Rechenschaft ziehen.“

Human Rights Watch befragte 26 afghanische Migrant*innen und Asylsuchende, von denen 23 zwischen September 2021 und Februar 2022 von Griechenland über den Evros-Fluss in die Türkei zurückgedrängt wurden. Die 23 Männer, zwei Frauen und ein Junge gaben an, dass sie von Männern, die sie für griechische Beamte hielten, festgehalten wurden, in der Regel nicht länger als 24 Stunden, mit wenig oder gar keinem Essen oder Trinkwasser, und in die Türkei abgeschoben wurden. Die Männer und der Junge berichteten aus erster Hand, dass sie von griechischen Polizisten oder Männern, die sie für solche hielten, geschlagen oder anderweitig misshandelt wurden.

Sechzehn der Befragten gaben an, dass die Boote, die sie in die Türkei brachten, von Männern gesteuert wurden, die Arabisch oder die unter Migrant*innen verbreiteten südasiatischen Sprachen sprachen. Sie sagten, dass die meisten dieser Männer schwarze bzw. polizei- oder militärähnliche Uniformen trugen und ihre Gesichter mit Sturmhauben verhüllten. Drei der befragten Personen konnten mit den Männern sprechen, die die Boote steuerten. Die Bootsführer erzählten, sie seien ebenfalls Migranten, die von der griechischen Polizei mit dem Versprechen angeheuert worden seien, ihnen Dokumente für die Weiterreise zu besorgen.

Ein 28-jähriger ehemaliger Kommandeur der afghanischen Armee, der Ende Dezember in die Türkei abgeschoben wurde, sagte, er habe sich mit dem pakistanischen Mann, der das Boot fuhr, das ihn in die Türkei brachte, auf Paschtu unterhalten: „Der Bootsfahrer sagte: ‚Wir sind ... hier und machen diese Arbeit für drei Monate und dann geben sie uns ... ein Dokument. Damit können wir uns innerhalb Griechenlands frei bewegen und dann können wir ein Ticket für ... ein anderes Land bekommen.‘“

Ein 18-jähriger afghanischer Jugendlicher beschrieb seine Erfahrungen, nachdem die griechische Polizei ihn aus dem Auffanglager zum Fluss gebracht hatte: „An der Grenze warteten andere Leute auf uns. ... An ihrer Sprache erkannten wir, dass es Pakistaner und Araber waren. Diese Männer nahmen unser Geld und schlugen uns. Sie schlugen mich mit Stöcken. Sie setzten uns in der Mitte des Flusses ab. Das Wasser stand mir bis zur Brust, und wir wateten den Rest des Weges [in die Türkei].“

Pushbacks verletzen zahlreiche internationale Menschenrechtsnormen, darunter das Verbot der kollektiven Ausweisung gemäß der Europäischen Menschenrechtskonvention, das Recht auf ein ordnungsgemäßes Verfahren gemäß dem Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte, das Recht auf Asyl gemäß dem EU-Asylrecht und der EU-Grundrechtecharta sowie den Grundsatz der Nichtzurückweisung gemäß der Flüchtlingskonvention von 1951.

Die griechische Regierung leugnet routinemäßig die Beteiligung an Pushbacks, bezeichnet solche Behauptungen als „Fake News“ oder „türkische Propaganda“ und geht gegen diejenigen, die über solche Vorfälle berichten, hart vor, auch unter Androhung strafrechtlicher Sanktionen. Am 29. März hat die unabhängige griechische Behörde für Transparenz, die von der Regierung mit der Untersuchung von Pushbacks beauftragt wurde, „keine Grundlage für Berichte gefunden, dass griechische Behörden Asylsuchende, die aus der Türkei ins Land gekommen sind, illegal zurückgedrängt haben“.

Generalmajor Dimitrios Mallios, Leiter der Abteilung für Grenzschutz im griechischen Polizeipräsidium, wies die Behauptungen von Human Rights Watch zurück. Er sagte, dass „die Polizeibehörden und ihre Mitarbeiter*innen weiterhin kontinuierlich, professionell, gesetzeskonform und zügig arbeiten und alle notwendigen Maßnahmen ergreifen werden, um die Geflüchteten-/Migrationsströme wirksam zu steuern, und zwar so, dass einerseits die Rechte der Betroffenen und andererseits der Schutz der Bürger*innen, insbesondere in den unmittelbaren Grenzregionen, gewahrt bleiben.“

Griechenland sollte sofort alle Pushbacks von griechischem Territorium aus stoppen und aufhören, Drittstaatsangehörige für kollektive Abschiebungen zu benutzen, so Human Rights Watch. Die Europäische Kommission, die die griechische Regierung bei der Migrationskontrolle finanziell unterstützt, sollte Griechenland auffordern, alle summarischen Rückführungen und kollektiven Abschiebungen von Asylbewerber*innen in die Türkei zu beenden, die Behörden dazu drängen, einen unabhängigen und effektiven Grenzüberwachungsmechanismus einzurichten, der Vorwürfe von Gewalt an den Grenzen untersucht, und sicherstellen, dass keine ihrer Finanzmittel zu Verstößen gegen Grundrechte und EU-Gesetze beitragen. Die Europäische Kommission sollte außerdem rechtliche Schritte gegen Griechenland einleiten, weil es gegen EU-Rechtsvorschriften verstößt, die Kollektivausweisungen verbieten.

Frontex, die Europäische Agentur für die Grenz- und Küstenwache, die wegen ihrer Komplizenschaft bei Pushbacks von Migrant*innen in Griechenland verstärkt unter Beobachtung steht, sollte Artikel 46 ihrer Verordnung auslösen. Danach ist die Agentur bei schwerwiegenden Verstößen zur Aussetzung oder Beendigung ihrer Tätigkeit verpflichtet, wenn Griechenland nicht innerhalb von drei Monaten konkrete Verbesserungen vornimmt, um diese Verstöße zu beenden.

Am 1. März erklärte der griechische Migrationsminister Notis Mitarachi vor dem griechischen Parlament, dass die Ukrainer*innen  die „wahren Flüchtlinge“ seien, was im Umkehrschluss bedeutet, dass die Menschen an der griechischen Grenze zur Türkei nicht als solche gesehen werden.

„Zu einer Zeit, in der Griechenland Ukrainer*innen als ‚wahre Flüchtlinge‘ willkommen heißt, drängt es Afghan*innen und andere, die vor einem ähnlichen Krieg und Gewalt fliehen, auf grausame Weise zurück“, so Frelick. „Diese Doppelmoral verhöhnt die angeblich gemeinsamen europäischen Werte der Gleichheit, Rechtsstaatlichkeit und Menschenwürde.“

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